Zwei vermummte Personen gehen eilig an der Mauer eines alten Bauernhofs vorbei und verschwinden im hinteren Bereich. Hier in Lützerath sind immer wieder Menschen mit Sturmhauben zu sehen. Sie wollen unerkannt bleiben und bleiben auf Distanz, wenn Fremde kommen.
Die meisten ihrer Mitstreiter tragen keine Gesichtsbedeckung, bitten aber während des wöchentlichen Dorfspazierganges darum, nicht fotografiert werden. Einige Dutzend Gäste sind am vergangenen Sonntag gekommen, um sich den Ort anzusehen, der am Abgrund des Braunkohle-Abbaugebietes Garzweiler steht und geräumt werden soll.
Mitte Januar 2023 könnte es so weit sein. Dann sollen Hunderte von Polizisten hier aufmarschieren und die Besetzer vertreiben. „Am Ende muss Lützerath leer sein“, hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) als Auftrag ausgegeben.
Mit „leer sein“ meint Reul nicht nur menschenleer. Der Ort soll dem Erdboden gleichgemacht werden: keine Häuser, keine Bäume, keine Behausungen. Der Energiekonzern RWE, der hier Eigentümer ist, will dann alles für das weitere Abbaggern der Braunkohle vorbereiten und den Tagebau Garzweiler vorantreiben.
Die fossilen Energiereserven unter Lützerath sollen die heimische Stromversorgung sichern. Darauf haben sich die grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck im Bund und Mona Neubaur in Nordrhein-Westfalen mit dem Unternehmen verständigt. Am Schicksal dieses Örtchens zerbricht gerade auch etwas zwischen der Öko-Partei und Teilen ihrer Anhängerschaft. „Hier wird gerade von RWE + Grünen ein Dorf zerstört“, steht auf einem gelben Schild an der Mahnwache in Lützerath.
U-Haft wäre für die Aktivistin „Ehrenauszeichnung“
Wie ernst die Lage ist, zeigte sich vor wenigen Tagen. Im Schneegestöber tauchten Dutzende von Polizisten mit Helmen und Schilden in Lützerath auf. Es gab eine Vorwarnung der Polizei Aachen, dass dies „ausdrücklich nicht den Beginn der Räumung“ bedeute.
Es gehe darum, „eine professionelle und angepasste Einsatzvorbereitung zu gewährleisten“. Klimaaktivisten werteten die Ankunft der Hundertschaft prompt als „Eskalation“ und „Machtdemonstration“. Einen Tag nach dem Einsatz wurde der Ort vom Stromnetz getrennt.
Doch die Besetzer wollen nicht aufgeben. Beim Dorfspaziergang erzählen sie, dass sie Solarpaneele und Speicherkapazitäten aufbauten. „Kaltes Duschen wird es wohl auch weiter geben“, erzählt ein Aktivist über Lautsprecher. Aber für ihre Tätigkeiten soll Strom vorhanden sein, vor allem, wenn es zur Räumung kommt. „Wir müssen berichten, was in Lützerath passiert. Wir können nicht zulassen, dass die Polizei die Hoheit hat.“
Im „Lützi-Wäldchen“ befindet sich das „Besetzungscamp“. Das Zentrum der matschigen Lichtung bildet ein großes dreistöckiges Holzhaus auf Pfählen, unter dem sich Planen wie bei einem Zirkuszelt aufspannen. In anderen Hütten liegen Brenn- und Baumaterial, ein überdachtes Brett mit aufgeschraubten Steckdosen als Handyladestation, eine Fahrradwerkstatt.
In den winterkahlen Baumwipfeln ringsum sind Baumhäuser zu sehen. Transparente tragen Aufschriften wie „Weltweite Solidarität mit den Kämpfen von links und unten“ oder „Es geht um mehr, als du denkst“. Die Besetzer in Lützerath kämpfen nicht nur für Klimaschutz, sondern auch für eine andere Gesellschaftsordnung abseits des Kapitalismus.
Eine ähnliche Situation gab es Ende 2018, als die damalige schwarz-gelbe Landesregierung den benachbarten Hambacher Forst räumen ließ, weil RWE dort ebenfalls Braunkohle abbaggern wollte. Aktivisten hatten mehr als 80 illegale Baumhäuser errichtet und leisteten Widerstand gegen die geplante Abholzung. Der „Hambi“ blieb am Ende stehen, weil sich die Kohlekommission des Bundes für den Erhalt aussprach.
Eine solche Rettung für Lützerath ist eher unwahrscheinlich – Aktivist Alex, der seinen Nachnamen nicht nennen will, sagt: „Juristisch und politisch stehen die Zeichen auf Eskalation. Es sieht ganz so aus, dass es zeitnah zu einer Räumung kommen kann.“ Aber sie hätten beim Hambacher Wald gelernt, „es gibt immer Dinge, die unerwartet passieren“. Alex sagt: „Es gibt eine Hoffnung, das noch abwenden zu können.“
Die Besetzer scheinen jedenfalls fest entschlossen, wenn die Polizei kommt. Beim Dorfspaziergang spricht auch Maja von der Initiative „Osterholz bleibt“ in Wuppertal, die sich dort vergeblich gegen Rodung gewehrt hat. Sie ermuntert die Aktivisten in Lützerath dazu, „bürgerlichen Ungehorsam“ zu leisten; das sei „vielleicht nicht legal, aber legitim“. Sie habe keine Anzeige bekommen und sei auch nicht in Untersuchungshaft genommen worden, aber es wäre für sie eine „Ehrenauszeichnung“ gewesen. „Leute, wir müssen kämpfen und uns für eine bessere Welt einsetzen“, sagt sie und bekommt dafür Applaus.
Auch die Autorin Katja Diehl, die sich für eine Verkehrswende einsetzt, ist nach Lützerath gereist. Sie will wiederkommen, wenn im Januar die Räumung beginnt. „Dann werden wir der größere Bagger sein, die größere Hundertschaft und zusammen mit Liebe den Hass umarmen“, sagt Diehl.
Vor Lützerath stehen erste Barrikaden. Ein ausgebranntes, bunt angesprühtes Auto, ein Dreieck aus Bauzäunen, in dem Schutt abgeladen wurde, zahlreiche Pflastersteine an der Straßenseite. Die Aktivisten planen ein Ausweichcamp im benachbarten Keyenberg, eine Anlaufstelle in Holzweiler, und Pop-up-Mahnwachen. Sie wollen es der Polizei so schwer wie möglich machen.
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