Die stark steigenden Energiepreise treffen nicht nur private Haushalte und Unternehmen. Auch Kommunen haben damit mehr und mehr zu kämpfen – was wiederum Folgen für den Alltag aller Bürger hat.
Mehr als jede zweite Kommune in Deutschland, genau 54 Prozent, hat bereits 2022 Leistungen gekürzt – oder plant dies für 2023. Im Vorjahr kündigten erst 26 Prozent der befragten Kommunen an, das Leistungsangebot einschränken zu wollen.
Das zeigen die Ergebnisse einer jährlichen Umfrage der Beratungsgesellschaft EY, an der dieses Mal 301 Kommunen mit mindestens 20.000 Einwohnern teilnahmen.
Der deutlich gestiegene Spardruck wirkt sich auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche aus. In fast jeder zweiten Stadt wird es auf den Straßen dunkler: 42 Prozent wollen die Beleuchtung reduzieren. Vor einem Jahr planten dies erst 13 Prozent. Schwimmbäder ganz schließen oder den Badebetrieb zumindest einschränken wollen 31 Prozent (Vorjahr 16 Prozent), 17 Prozent (11 Prozent) wollen bei Angeboten für Jugendliche und Senioren sparen.
Selbst vor Bereichen, die bei Sparüberlegungen in den Kommunen vor einem Jahr noch kaum eine Rolle spielten, schrecken die Verantwortlichen nicht mehr zurück. Die Rede ist zum einen vom öffentlichen Personennahverkehr. In 11 Prozent der Städte wird hier noch Sparpotenzial gesehen. Zum anderen beschäftigen sich immerhin sieben Prozent der befragten Orte mit der Schließung von Opern und Theatern.
Besonders sparsam wollen die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sein. Hier planen knapp zwei von drei Städten Einschnitte, genau 64 Prozent. In Thüringen ist es dagegen nur eine von drei Gemeinden (33 Prozent). Dabei ist wichtig, zu verstehen, dass die Sparbemühungen sich in erster Linie nur auf freiwillige Leistungen der Kommunen beziehen können. Bei Aufgaben zur Daseinsvorsorge, beispielsweise die Wasser- und Energieversorgung, sowie Müllbeseitigung, sind die Möglichkeiten begrenzt.
Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund weist man schon seit Längerem auf die Zwänge in vielen Kommunen hin. „Die Politik muss den Menschen ehrlich kommunizieren, dass vieles was wünschenswert ist, möglicherweise nicht realisierbar sein wird“, sagte unlängst Präsident Ralph Spiegler.
Man müsse den Bürgern, aber auch der Wirtschaft offen sagen, was vom Staat in Zukunft noch prioritär geleistet werden könne und was nachrangig sein müsse. Dabei bezog sich Spiegler nicht nur auf freiwillige Leistungen, sondern auch auf Daseinsvorsorgeaufgaben.
Als konkretes Beispiel nannte er die Ganztagsbetreuung in der Grundschule. „Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ist ein wichtiges Ziel, man muss ihn aber hinterfragen dürfen, wenn es kein Personal gibt und die Finanzierung nicht gesichert ist“, sagte Spiegler.
Vor gut einem Jahr schrieben SPD, Grüne und FDP in ihren Koalitionsvertrag das Bekenntnis zu „leistungsstarken und handlungsfähigen Kommunen“. Dabei verwiesen sie auf viele Kommunen mit hohen Altschulden, die sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien könnten. Ihnen fehle die Finanzkraft für dringend notwendige Investitionen. „Wir wollen daher diese Kommunen von Altschulden entlasten“, heißt es weiter.
Mit „wir“ war neben den jeweiligen Ländern ausdrücklich auch der Bund gemeint. Bis heute kam die Koalition an der Stelle allerdings nicht weiter. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verwies wiederholt auf die notwendige Grundgesetzänderung, für die auch die Zustimmung von CDU und CSU und die Bereitschaft von Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg notwendig wären, deren Kommunen selbst von einer Altschuldenregelung nicht profitieren würden. Die überschuldeten Kommunen finden sich vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
15 Milliarden Euro Plus – trotzdem reicht das Geld nicht
Wobei sich die Situation der Kommunen grundsätzlich zuletzt verschlechterte. „Seit 2020 sinkt der Anteil der Kommunen mit einem ausgeglichenen Haushalt rapide“, sagte EY-Partner Sven-Joachim Otto. Der Experte für Kommunalfinanzierungen geht davon aus, dass die Verschuldung vieler Städte in den kommenden Jahren steigt.
Schon für dieses Jahr weisen voraussichtlich nur noch elf Prozent der befragten Kommunen einen Überschuss aus – 2019 waren es noch 54 Prozent. Hätten Bund und Länder die Kommunen nicht mit umfangreichen Coronahilfen entlastet, wäre die Situation noch schlechter, sagte Otto.
Positiv hätten sich zuletzt auch die Steuereinnahmen entwickelt. Den Rekordbetrag von 113 Milliarden Euro nahmen die Städte im Jahr 2021 ein, ein Plus von 15 Milliarden Euro oder 15 Prozent im Vergleich zum durch die Pandemie belasteten Vorjahr. Dabei profitieren die Gemeinden genauso wie Bund und Länder ausgerechnet von den gestiegenen Preisen. Sie erhalten beispielsweise rund vier Prozent der Mehrwertsteuereinnahmen.
Trotzdem reicht das Geld in vielen Kommunen nicht, um das derzeitige Leistungsangebot aufrechtzuerhalten. Denn noch schneller als die Einnahmen steigen die Ausgaben. Für dieses Jahr rechnen die befragten Gemeinden mit einem Einnahmeplus von 2,1 Prozent, für 2023 mit zwei Prozent. Dem stehen prognostizierte Ausgabensteigerungen von 3,6 Prozent in diesem Jahr und vier Prozent im nächsten Jahr gegenüber.
„Nicht zuletzt die große Zahl von Geflüchteten, deren Unterbringung und Integration in Kindergärten und Schulen von den Kommunen sichergestellt werden muss, führt zu erheblichen Mehraufwendungen, die nur in Teilen vom Bund übernommen werden“, sagte Otto. Auch die erwartet höheren Tarifabschlüsse für kommunale Angestellte führten zu erheblichen Mehrbelastungen.
Die größten Sorgen bereiten auch den Kommunen die hohen Energiepreise. Allein für das laufende Jahr gehen die Städte im Durchschnitt davon aus, dass die Ausgaben für Energie um 24 Prozent steigen.
In fast allen befragten Kommunen (98 Prozent) wird die Raumtemperatur in öffentlichen Gebäuden begrenzt. Knapp die Hälfte (45 Prozent) plant mit der vorübergehenden Schließung von Büros, die ohnehin kaum besetzt sind.
Das können genauso wie ausgeschaltete Straßenlaternen und kühlere Schwimmbäder nur kurzfristige Maßnahmen sein. Immerhin jede zweite Gemeinde (50 Prozent) will mehr Geld in die Modernisierung ihrer Gebäude stecken.
Knapp acht von zehn Städten (78 Prozent) modernisieren die Heizungsanlagen, fast zwei von drei Gemeinden (63 Prozent) installieren Fotovoltaikanlagen und Wärmepumpen. Im Durchschnitt erhoffen sich die befragten Kommunen von all den Maßnahmen dauerhaft um 15 Prozent niedrigere Energiekosten als bislang.
Kurz- und langfristig die Ausgaben zu reduzieren, das ist der eine Weg, weitere Einnahmesteigerungen der andere. „Angesichts ihrer finanziellen Notlage und der erwarteten Kostensteigerungen sehen sich viele Kommunen gezwungen, ihre Einnahmen zu erhöhen, sodass es wohl erneut eine Welle an Grund- und Gewerbesteuererhöhungen geben wird“, sagte Otto.
Dass dies mit Blick auf die Attraktivität des eigenen Wirtschaftsstandorts ein riskanter Schritt ist, wird offenbar in mehr und mehr Kommunen bedacht. Für 2023 planen zwar beachtliche 31 Prozent der befragten Kommunen derartige Steuererhöhungen.
Bei der Umfrage im Vorjahr waren es aber trotz der vielerorts damals noch nicht so angespannten Finanzlage noch 40 Prozent. Wandern Unternehmen ab, gehen einer Stadt nicht nur Arbeitsplätze verloren, sondern auch künftige Steuereinnahmen.
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