Es wird eine lebhafte Diskussion werden, das ist klar. Am Dienstag beraten die EU-Energieminister auf einem Sondertreffen über die Vorschläge der Europäischen Kommission für einen Gaspreisdeckel.
Der Streit um die Pläne hat sich zuletzt zugespitzt, und Deutschland ist aus Sicht von Diplomaten in der Auseinandersetzung inzwischen weitgehend isoliert. Ob Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) selbst zu der heiklen Sitzung kommen wird oder eine Vertretung schickt, war Montagabend noch nicht klar.
Eine Mehrheit der EU-Staaten – angeführt von Italien, Griechenland, Belgien und Polen – fordert seit Monaten einen Preisdeckel für importiertes Gas, insbesondere für das mit Schiffen angelieferte LNG-Gas. Ein scharfzüngiger Diplomat hat die Gruppe bereits als die „Fanatischen Vier“ bezeichnet.
Deutschland, aber auch die Niederlande, Österreich oder Dänemark, wehren sich gegen die Preisobergrenze. Die Bundesregierung fürchtet um die Versorgungssicherheit in Deutschland. Eine Preisobergrenze in der EU könnte dafür sorgen, dass Schiffe mit LNG-Flüssiggas asiatische Häfen ansteuern, wenn der EU-Gaspreisdeckel zu niedrig ist.
Für Deutschland mit seinem hohen Gasbedarf und nur wenigen eigenen LNG-Terminals wäre das gefährlich. Am Montag sollte das erste deutsche LNG-Terminal vor Wilhelmshaven an das Gas-Fernleitungsnetz angebunden werden.
Kritiker eines Preisdeckels fürchten auch, dass gedeckelte Gaspreise das Gas so billig machen, dass Haushalte und Unternehmen mehr von dem knappen Gut verbrauchen. Eine Obergrenze könnte sogar den gegenteiligen Effekt haben und für steigende Preise sorgen, weil Marktteilnehmer ihre Risiken neu kalkulieren, warnt ein EU-Diplomat.
In Ungarn wurde der Benzinpreisdeckel bereits aufgehoben
Skeptiker eines Preisdeckels in Berlin, Den Haag und Brüssel fühlen sich durch die jüngsten Ereignisse in Ungarn bestätigt: Dort musste die Regierung in der vergangenen Woche den im November 2021 in Kraft getretenen Preisdeckel für Benzin aufheben. Zuletzt hatten die Tankstellen kein Benzin mehr, weil ausländische Lieferanten kein Interesse daran hatten, Benzin zu Preisen unter dem Marktwert nach Ungarn zu liefern.
Auch die EU-Kommission hat eine Preisobergrenze für Gas lange abgelehnt und ebenfalls gewarnt, dass ein Preisdeckel die Versorgung in Europa gefährden könnte. Nach dem letzten EU-Gipfel hatte sie allerdings nachgegeben und im November einen Vorschlag für einen Gaspreisdeckel vorgelegt.
Der Vorschlag der Kommission enttäuschte allerdings die Befürworter eines Deckels. Er sieht eine Art Pseudo-Gaspreisdeckel vor: Es ist eine Notbremse für den Gasmarkt, die nur in Ausnahmesituationen greifen würde. Das soll extreme Preisspitzen wie im Sommer, als sich die EU-Staaten beim Gaseinkauf gegenseitig überboten hatten, verhindern.
Dementsprechend hoch war die vorgeschlagene Obergrenze von 275 Euro je Megawattstunde. Sie war zudem an strikte Bedingungen geknüpft. Der Deckel wäre selbst im Sommer, als die Preise Rekordhöhen erreicht hatten, wohl nie aktiviert worden.
Die Behörde von Ursula von der Leyen wollte damit das Unmögliche schaffen und alle zufriedenstellen: diejenigen, die für Wähler zu Hause laut nach einem europäischen Preisdeckel rufen und die wenigen Länder, die den Markteingriff fürchten.
Das ist fulminant gescheitert. Sofort nach der Vorstellung der Kommissionspläne kam laute Kritik von den Befürwortern eines Deckels und seitdem arbeiten sie daran, auf EU-Ebene doch noch einen Gaspreisdeckel nach ihren Vorstellungen durchzusetzen. Und sie hatten Erfolg: Inzwischen stehen Deutschland und die anderen Deckel-Gegner weitgehend isoliert.
Was nicht nur Berlin große Sorgen macht: Die tschechische Regierung, die derzeit die Ratspräsidentschaft hält und die Verhandlungen zwischen den EU-Staaten koordiniert, hat den Kommissionsvorschlag schrittweise verschärft.
Es geht auch darum, wer sich in der EU durchsetzt
Der jüngste Vorschlag aus der vergangenen Woche, der WELT vorliegt, sieht vor, dass die Preisgrenze nur noch bei 220 Euro je Megawattstunde liegt. Am Montag lag der relevante Preis bei 139 Euro. Zudem soll der Deckel künftig leichter ausgelöst werden. Gestritten wird auch darüber, wie schnell der Deckel bei sinkenden Preisen deaktiviert wird und für welche Märkte er gilt.
Bei dem Streit geht es gar nicht mehr vorrangig um technische Fragen. Die Befürworter des Deckels sähen die Probleme durchaus, sagen EU-Insider. Die Bundesregierung habe aber die Emotionalität des Themas unterschätzt. „Das Ganze ist zu einem Symbolthema dafür geworden, wie gut man sich auf europäischer Ebene durchsetzt“, sagt ein EU-Beamter.
„Die Südländer wollen nicht auf sich sitzen lassen, dass sie ständig übergangen werden. Scholz erkennt gar nicht, dass er im Tonfall etwas gutzumachen hat.“ Die Deckel-Befürworter fordern einen Preis weit unter 200 Euro; in der Diskussion waren schon 150 Euro aber auch 100 Euro.
In den Hauptstädten der Deckel-Gegner geht jetzt die Angst um, dass Deutschland bei dem Thema überstimmt werden könnte. Eigentlich haben sich die EU-Staaten in der Krise darauf geeinigt, die heiklen und potenziell teuren Energiefragen einstimmig zu klären.
Kodifiziert ist das allerdings nicht; tatsächlich würde eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten genügen, um einen Preisdeckel zu beschließen. Nötig wären 15 Mitgliedstaaten mit 65 Prozent der EU-Bevölkerung. Die Deckel-Gegner haben jetzt Angst, dass die Befürworter den Deckel mit ebendieser qualifizierten Mehrheit gegen den Willen Deutschlands durchzudrücken.
Bereits kommende Woche könnte es so weit sein. Wenn sich die Energieminister am Dienstag nicht einigen, werden wohl die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel am Donnerstag darüber verhandeln. Einigen sich Scholz, Macron & Co. ebenfalls nicht, könnten die Deckel-Befürworter auf dem letzten Energieministertreffen am 19. Dezember die Einstimmigkeitsvereinbarung aufkündigen.
„Wenn wir am 19. Dezember noch immer keine Einstimmigkeit haben, was dann?“, sagt ein EU-Diplomat aus einem Land, das den Deckel ablehnt. „Gilt dann immer noch, dass einstimmig entschieden wird, oder wird dann doch plötzlich mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt? Das ist unsere große Angst.“
Auch in anderen Hauptstädten geht diese Sorge um: „Wie abgestimmt wird, ist letztlich eine politische Entscheidung“, sagt ein hoher Diplomat aus einem anderen Land, das keinen Deckel will. „Aber es wäre sehr ungewöhnlich, wenn einige Mitgliedstaaten gezwungen würden, etwas zu schlucken, wenn es um lebenswichtige Interessen geht. Wir reden hier über Versorgungssicherheit, über Unternehmen und Haushalte.“
Entscheidend wird sein, wie sich Frankreich verhält. Noch hat Macron sich bei dem Thema nicht eindeutig positioniert. Lange hat Paris den Markteingriff eher befürwortet, zuletzt hat aber offenbar ein Umdenken eingesetzt, sagt ein Diplomat. „Ganz langsam aber sicher verstehen mehr Staaten, wo die Risiken eines Preisdeckels liegen“, sagt der Diplomat.
„Frankreich gehört dazu.“ Möglicherweise lässt sich Macron die Unterstützung für Deutschland aber teuer erkaufen. Ein EU-Beamter formuliert das so: „Die überlegen, was sie für sich rausholen können.“
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