Wednesday, April 24, 2024

Gesundheitssystem: Tiefpunkt mit Ansage – So will die Politik jetzt die Kinderkliniken heilen – WELT

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Es genügt ein Blick auf eine einfache medizinische Routine, um die Probleme der Kinderkliniken in Deutschland zu verstehen. „Um einem Kind Blut abzunehmen, braucht es neben einem Elternteil noch mindestens zwei Mitarbeiter“, sagt Ursula Felderhoff-Müser, Direktorin der Kinderklinik der Universitätsmedizin Essen. Ein Erwachsener müsse den kleinen Patienten beruhigen, einer seinen Körper und seinen Arm halten. Und ein dritter muss die Nadel setzen.

30 Minuten dauert so eine Blutabnahme laut Felderhoff-Müser in der Regel bei einem Kind. Bei einem Erwachsenen nehme sie nicht einmal drei Minuten in Anspruch. „Allerdings bekommt die Kinderklinik keinen Cent mehr für die Blutabnahme als die Erwachsenenklinik, obwohl die Kosten natürlich viel höher sind“, sagt die Professorin.

Der derzeitige Engpass in der medizinischen Betreuung der Kleinsten markiert einen Tiefpunkt im deutschen Gesundheitswesen. Die vollkommene Überlastung der Kinderkliniken quer durch die Republik ist aber keineswegs aus heiterem Himmel gekommen. Seit 20 Jahren warnen Gesundheitsexperten und Krankenhausmanager vor einer Fehlentwicklung in der Kindermedizin. Die Kliniken sind selbst zu Patienten im Gesundheitswesen geworden. Ihr Leiden: akute Unterfinanzierung.

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Nach zwei Jahrzehnten des Totschweigens und Ignorierens haben diese Probleme nun die Politik erreicht. „Ein System, das Gewinne macht, indem bei Kindern gespart wird, ist ein krankes System“, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese Woche, als er seine Reform zur Krankenhausfinanzierung vorstellte. Diese soll den wirtschaftlichen Druck auf die Häuser mindern und besonders Kinderkliniken stärken.

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Wie schlecht es um die Versorgung junger Menschen bestellt ist, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts: Die Anzahl der Betten in Kinderkliniken und -abteilungen ist zwischen 1991 und 2017 um ein Drittel zurückgegangen. Die Nachfrage ist aber keineswegs gesunken.

So stiegen die Fallzahlen der behandelten Kinder und Jugendlichen von 1991 bis 2017 um rund zehn Prozent auf mehr als eine Million Fälle. Schon in den vergangenen Jahren mussten Kinderkliniken wegen dieser gegenläufigen Entwicklungen immer wieder Behandlungen verschieben und Patienten in andere Häuser transferieren.

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Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Kinder bei der medizinischen Versorgung so vernachlässigt werden? Und kann Lauterbachs Reform diesen Missstand beseitigen? Rainer Eckerts Arbeit beginnt dort, wo andere gescheitert sind. Der Insolvenzverwalter ist spezialisiert auf Krankenhäuser, die in Schieflage geraten sind. Aktuell unterstützt er ein Kinderkrankenhaus in Hannover.

Eckert sagt: „Während High-End-Medizin gut bezahlt wird, werden die Kosten in der Kindermedizin vom Vergütungssystem nicht adäquat abgebildet.“ Bei zahlreichen Behandlungen blieben die Kliniken auf ihren Kosten sitzen. Nicht nur bei der Blutabnahme. „Kinderkliniken müssen spezielle Geräte und mehr Personal als Kliniken für Erwachsene vorhalten. Diese Vorhaltekosten werden den Krankenhäusern nach dem derzeitigen Vergütungssystem aber nicht ersetzt“, sagt Eckert.

Bezahlt werden Leistungen nach den sogenannten Fallpauschalen. Eingeführt wurde dieses Erstattungssystem kurz nach der Jahrtausendwende. Um zu verhindern, dass Krankenhäuser ihre Patienten unnötig lange auf den Stationen behalten und mit den Tagessätzen Zusatzeinnahmen generieren, einigte sich die Politik damals auf ein neues Konzept: Kliniken sollten für jede Diagnose einen Pauschalbetrag überwiesen bekommen, unabhängig davon, wie lange der Patient tatsächlich bleibt oder unter welchen Krankheiten er sonst noch leidet.

Lauterbach wollte Gesundheitswesen rationalisieren

Einer der Architekten dieses Fallpauschalensystems war Karl Lauterbach, damals Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Politiker wie er strebten eine effizientere, an ökonomischen Grundsätzen orientierte Medizin an. Ein Ansatz, der logisch erscheint. Laut Kritikern war damit aber zugleich der Grundstein für die Fehlentwicklung in der Krankenhauslandschaft gelegt.

Doch nicht nur die Politik ist für die derzeitige Notlage der Kindermedizin verantwortlich. Viele Krankenhaus-Manager haben das System der Fallpauschalen schnell nach seinen Grenzen und Möglichkeiten ausgelotet. „Die Geschäftsführer von Krankenhäusern haben sich natürlich genau angesehen, mit welchen Krankheiten gute Vergütungen erzielt werden können und welche Fachabteilungen Verluste generieren“, sagt Arzt und Buchautor Thomas Strohschneider.

Seiner Einschätzung nach hätten vor allem private Konzerne ihr Angebot nach der Vergütung ausgerichtet. Für die Kindermedizin habe das fatale Folgen gehabt. „Besonders private Klinikketten haben ihre Kinderabteilungen ausgedünnt oder gleich ganz geschlossen. Nach der ökonomischen Logik sind diese Abteilungen eben reine Verlustbringer“, so Strohschneider.

Mittlerweile sieht Lauterbach das offenbar ähnlich. Bei der Präsentation seiner Krankenhausreform machte der Gesundheitsminister klar, dass die Ökonomisierung der Kliniklandschaft in den vergangenen zehn Jahren zu weit gegangen sei. Sein Reformwerk versteht der SPD-Politiker als Schubumkehr dieser Fehlentwicklung. So will er das System der Fallpauschalen stark einschränken und den Kinderkliniken nun etwa auch die Vorhaltekosten für Personal und Geräte erstatten. Aber reichen diese Maßnahmen, um wieder genug Betten und Kapazitäten zu schaffen?

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Ungerechte Regelung

Die Leiter öffentlicher Krankenhäuser haben bislang mehrheitlich positiv auf Lauterbachs Vorschläge reagiert. Johannes Danckert, Chef der kommunalen Klinikkette Vivantes, sieht das Vorhaben als „Schritt in die richtige Richtung“. Zustimmung kommt auch von Essens Kinderklinikchefin Felderhoff-Müser: „In den bisherigen Krankenhausreformen spielte die Kindermedizin überhaupt keine Rolle. Umso positiver bewerten wir es, dass Minister Lauterbach die Kinder ins Zentrum der Reformbemühungen stellt und die Vorhaltekosten der Kliniken für Personal und Geräte ersetzen will.“

Gleichzeitig weisen beide Krankenhausmanager darauf hin, dass die Kindermedizin ohne zusätzliche Mittel kaum zu bezahlen sei. „Die Frage einer nachhaltigen Finanzierung und dringend notwendiger Investitionen wurde bei Lauterbachs Präsentationen nicht beantwortet“, sagt Danckert. „Wir bräuchten einen Aufschlag von mindestens 20 Prozent zu den vorgeschlagenen Vorhaltekosten, um die Kindermedizin wirtschaftlich betreiben zu können“, sagt Felderhoff-Müser.

Bis sich die Situation verbessert, wird es noch dauern. So behält sich Lauterbach einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren vor, um die Reformvorschläge der unabhängigen Expertenkommission umzusetzen. Ob dann noch alle Kliniken in den Genuss besserer Konditionen kommen, bezweifeln Beobachter. Vivantes-Chef Danckert hält schnellere Lösungen für nötig: „In fünf Jahren werden viele Kinderkliniken wohl bereits insolvent sein.“

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