Der Eintrag in die Geschichtsbücher des Fußballs wurde ganz unterschiedlich gefeiert. Während Mittelfeldspieler Sofiane Boufal den erstmaligen Einzug eines afrikanischen Teilnehmers in das Halbfinale einer Fußball-Weltmeisterschaft mit einem Tänzchen mit seiner Mutter auf dem Feld des Al-Thumama-Stadions von Doha zelebrierte, entluden sich andernorts Gewalttaten.
In Brüssel wurden im Anschluss an Marokkos 1:0-Sieg über Portugal 60 Menschen festgenommen, in Paris waren es 100, und in Mailand wurde ein Mann bei Straßenfeiern niedergestochen. Es war die üble Fortsetzung von Ausschreitungen, die Marokkos Team im Ausland schon seit Beginn der WM in Katar erzeugt hat – und die vermutlich auch nach dem Duell mit Frankreich in der Vorschlussrunde am Mittwoch (20 Uhr) wieder zu sehen sein werden.
Walid Regragui ist weit weg von der Randale, und selbstredend kümmert er sich um die sportliche Performance seiner Mannschaft. „Warum sollten wir nicht davon träumen, eine WM zu gewinnen? Es kostet nichts, Träume zu haben“, sagte der Nationaltrainer, der erst im August das Amt von Vahid Halilhodzic übernommen hatte. In seinem achten Länderspiel als Boss an der Bank durfte er nun das feiern, was vorher keiner noch so namhaften Nation des gesamten Kontinents gelungen war.
Nach Marokkos Sensationssieg bricht Cristiano Ronaldo in Tränen aus – Die Highlights im Video
Marokko schreibt gegen Portugal Fußballgeschichte und zieht als erstes afrikanisches Team in ein Halbfinale einer Weltmeisterschaft ein. Superstar Cristiano Ronaldo weint nach seinem wohl letzten WM-Spiel bittere Tränen. Die Highlights im Video.
Quelle: ZDF
In einem WM-Viertelfinale standen bisher lediglich Kamerun 1990, der Senegal 2002 und Ghana 2010. Sie alle scheiterten, Marokko nutzte nun dagegen die Chance konsequent. Und ob der Siegeszug im Duell mit dem Titelverteidiger tatsächlich endet, ist angesichts der Defensivstärke des Teams um den überragenden Torwart Yassine Bounou ungewiss.
„Es ist sehr hart, uns zu schlagen. Das ist die Botschaft, die ich senden möchte“, sagte Coach Regragui nach dem Triumph, den Youssef En-Nesyri mit seinem Tor in der 42. Spielminute sichergestellt hatte. „Es ist kein Wunder. Viele halten es für ein Wunder, vor allem in Europa. Das ist kein Wunder, das ist das Ergebnis harter Arbeit.“
„Wir sind der Rocky dieser WM“
In der Tat lässt sich das an den immens hart erarbeiteten Ergebnissen der Marokkaner bei dieser WM ablesen: 0:0 gegen Kroatien, 2:0 gegen Belgien, 2:1 gegen Kanada, 3:0 nach Elfmeterschießen gegen Spanien und nun wieder ein knapper 1:0-Erfolg über Portugal mit Superstar Cristiano Ronaldo. Lediglich in einem von fünf WM-Spielen musste Keeper Bounou hinter sich greifen – und das war auch noch ein Eigentor seines Kollegen Nayef Aguerd.
Am Samstagabend wurde der Torwart, der beim FC Sevilla unter Vertag steht, erneut als „Spieler des Spiels“ ausgezeichnet – und freute sich über den Coup seiner Mannschaft. „Wir hatten Verletzungen, aber wir haben eine unglaubliche Leistung gezeigt“, sagte er. „Kneif mich, ich glaube, ich träume.“ Trainer Regragui wählte derweil einen Vergleich mit einem Kino-Klassiker. „Wir haben so viele Menschen auf der Welt glücklich gemacht“, meinte er: „Wir sind der Rocky dieser WM. Wenn man Rocky Balboa gut findet, dann wegen seiner Leidenschaft. Man muss träumen und daran glauben.“
Der Abnutzungskampf forderte im Turnierverlauf schon einige Opfer. Noussair Mazraoui vom FC Bayern fehlte gegen Portugal krank, Nayef Aguerd von West Ham musste verletzt passen, und Kapitän Romain Saiss wurde in der Partie gegen Portugal vom Rasen getragen. Für den Trainer aber war der Aderlass kein größeres Problem. „Ich habe 26 Spieler. Wenn man dieses Turnier gewinnen will, muss man an alle glauben“, erklärte Regragui. „Wenn einer verletzt oder krank ist, kommt ein anderer dafür rein. Ich hoffe, dass Mazraoui zurückkommt, er ist sehr wichtig für das Team.“