Beim Rundgang durch die Fertigung rutscht es dem Vater wie selbstverständlich heraus. „Hoffentlich hat der Kunde das auch anständig bezahlt“, sagt Klaus Hölscher. In der großen Fertigungshalle liegen Dämmplatten für einen Kaminofen aufgestapelt, in der Mitte ist eine Flamme eingefräst. Der Käufer, ein Kaminhersteller, will das Zulieferteil in eigener Ausführung statt als Standardstück haben. Üblich ist das nicht und aufwendig zudem.
Der Sohn Tobias Hölscher nickt. Kurz nur. Eigentlich ist der Vater raus aus dem Familienunternehmen Calsitherm. „Ich schreite jetzt nicht mehr ein“, beschreibt Klaus Hölscher seine Position. Einige Male im Jahr ist er noch als „beratende Eminenz“, wie der Junior sagt, bei Sitzungen der Holding anwesend.
„Für große Gaskonsumenten ist das ein Todeskampf“
„Ich sehe den Doppelwumms nicht“, stellt Markus Jerger, Geschäftsführer vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft, fest. „Wir brauchen jetzt sofortige Aktionen. Wir brauchen vor allem Energie, und zwar schnell und mit allen Mitteln“, so Jerger.
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Der Übergabeprozess dauerte ein Jahrzehnt – wohl auch deshalb, weil beide Charaktere so unterschiedlich sind. Beim Senior ist der dominante Auftritt gleich bei der ersten Begegnung zu spüren. Der einstige Firmenchef macht Ansagen. Sein Sohn bevorzugt dagegen die leisen Töne. Unerwartete Seiten von Tobias Hölscher, etwa die des Adjutanten im Elferrat des örtlichen Karnevalvereins, kommen bei dem eher unauffälligen Mann erst spät zum Vorschein.
In vielen Details ist Calsitherm, Hersteller von Innendämmung in Häusern, in Kaminöfen oder in Werkzeugen etwa der Aluminiumproduktion ein typischer deutscher Mittelstandsbetrieb. In vierter Generation von der Familie geführt, hat sich das Unternehmen aus Paderborn heraus einen weltweiten Markt geschaffen. Der Mittelständler ist Erfinder einer speziellen Platte aus Kalk und Sand zur Wärmedämmung sowie zum Schutz gegen Feuchtigkeit und Schimmel. In „Prestigeobjekten“, so nennt sie der Juniorchef, wie der Elbphilharmonie, dem Rijksmuseum in Amsterdam oder der Barenboim-Said-Akademie in Berlin finden sich die Produkte ebenso wie in Wohnungen, Häusern und Industrieunternehmen. Ein direktes Konkurrenzprodukt gibt es nicht.
Deutschland lebt vom Mittelstand. Die Hälfte aller Jobs finden sich in kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die allermeisten davon sind im Familieneigentum. In etwa 38.000 Fällen kommt es jedes Jahr zu einer Übergabe. Doch immer seltener gelingt dies innerhalb der eigenen Familie.
Laut dem KfW-Mittelstandspanel liegt der Grund, warum Mittelständler ihren Betrieb aufgeben, zu 54 Prozent am fehlenden Nachfolgeinteresse der Familie. Den Königsweg hin zur perfekten Weitergabe von einer in die nächste Generation gibt es nicht. Manchmal dauert es, wie in diesem Beispiel, einfach seine Zeit. Zwar ist die aktuelle Lage im Mittelstand sehr unterschiedlich, die gestiegenen Energiekosten haben jedoch Folgen für fast alle Firmen. Calsitherm etwa kommt gerade mit den Bestellungen der Dämmplatten nicht hinterher.
Die Energiekrise und der Zwang zur Gebäudesanierung machen die Platten zum Produkt der Stunde. Allerdings ist das Unternehmen durch die hohen Kosten unter Druck geraten. Das Werk verbraucht in zwei Stunden so viel Gas wie ein Vier-Personen-Haushalt in einem Jahr. Die Preise wurden deshalb bereits um 30 Prozent angehoben.
Überstürzt wie vor 45 Jahren beim Vater, als dessen Mutter, die Chefin des Betriebs, unerwartet verstarb, lief die Nachfolge beim Sohn ganz und gar nicht ab. Im Gegenteil, Klaus Hölscher ist gerade 80 Jahre alt geworden, der Sohn ist 50 Jahre, und erst vor vier Jahren war der Übergabeprozess auf dem Papier abgeschlossen.
Dabei mochte Tobias Hölscher schon früh, was der Vater tat. „In der Grundschule haben wir einmal mit der Klasse einen Ausflug in unser Werk gemacht. Ich fand das schon damals sehr spannend“, sagt er. Später begleitete er den Vater auf Dienstreisen. Von Mexiko über die USA bis Großbritannien und Italien hat Calsitherm eigene Tochterfirmen. Sobald er einen Führerschein hatte, fuhr Tobias Hölscher den Firmenchef zu den Kunden. Bei der Wahl des Studiums stand nur zur Frage, wie er am besten seinem Ziel – der Nachfolge bei dem Baustoffhersteller – näher kommen könnte. Es wurde ein Maschinenbaustudium in Hamburg-Harburg mit anschließender Promotion im sächsischen Freiberg. Nach Ostdeutschland zog es den Sohn, weil die Eltern sich gerade getrennt hatten. „Ich wollte aus der direkten Schusslinie heraus.“
Einige Jahre nach dem Einstieg in das Familienunternehmen machte der Sohn den nächsten Studienabschluss, diesmal in Betriebswirtschaft und berufsbegleitend an der Fachhochschule Deggendorf. 2009 hatte er damit aus seiner Sicht alle Wissensbereiche abgedeckt, um bei Calsitherm dem Vater nachfolgen zu können.
Seit vier Jahren ist Tobias Hölscher alleiniger Geschäftsführender Gesellschafter. Dass die Firma seither um fast ein Drittel im Umsatz gewachsen ist, stellt er nicht heraus. Andere als Konkurrenten zu sehen ist nicht seine Art. Dazu passt sein Hobby, das Klettern. Gelegentlich geht der Vater von zwei kleinen Kindern zum Bouldern in eine Halle. „Man misst sich dabei vor allem mit sich selbst, das mag ich besonders daran“, sagt Tobias Hölscher. So hält er es auch mit dem Vater.
Für Klaus Hölscher, der Mitglied im örtlichen Schützenverein ist, hätte es auch ganz anders laufen können. Nach dem Studium arbeitete er mehrere Jahre bei Rheinstahl und Thyssen – als „jüngster Direktor und mit eigenem Betriebswagen“, wie er sagt. Der Tod der Mutter habe alles verändert. Damals galt es, das Kalksandsteinwerk in Ostwestfalen aus dem Gründungsjahr 1912 zu erhalten. Die Haltung des Seniors klingt oft durch. „Wenn ich meine, dass ich recht habe, lasse ich mir ungern von anderen etwas sagen.“ Er sei gelegentlich rustikal und haue dann mit der Faust auf den Tisch. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren war Kurzarbeit im Werk notwendig. Eine Formalie sorgte für Probleme. Da es keinen Betriebsrat bei Calsitherm gab – und auch heute nicht gibt –, benötigte der Firmenchef die Zustimmung der örtlichen Gewerkschaft. „Als Alternative habe ich gesagt, dass wir auch nach Rumänien abwandern könnten“, sagt Klaus Hölscher.
Sein Sohn sei ganz anders. „Er denkt gerne nach und ist eher nach innen orientiert“, sagt der Vater. Als es einmal „Ärger mit einem Mitarbeiter“ aus der mittleren Manager-Ebene gab, schaltete er sich ein und setzte die Entlassung durch. „Ich entscheide schneller und wickle das auch ab. Meinem Sohn liegt mehr das analytische Denken.“ Tobias Hölscher habe das bessere technische Verständnis. „In den Vertrieb musste er jedoch erst hineinwachsen.“ Trotz aktueller Krisen geht das Geschäft von Calsitherm in großen Schritten weiter. Gerade wurden zehn Millionen Euro in eine Presse für die Platten investiert. Rund 57 Millionen Euro betrug der Umsatz vergangenes Jahr. Angst habe er nicht vor der Zukunft, sagt der Sohn, Sorgen mache er sich dagegen schon.
Vor einigen Monaten hat Klaus Hölscher zum dritten Mal geheiratet. Um seine Kinder habe er sich zu wenig gekümmert, sagt er rückblickend. Die Dienstreisen und die viele Arbeit hätten ihn gefordert. „Wenn ich auf Reisen war, habe ich immer noch einen Tag angehängt, um mir die Gegend anzuschauen“, sagt der Senior. Für das Familienleben blieb so nur wenig Zeit.