Friday, April 19, 2024

Actionszenen der Weltliteratur: Attentat auf Friedrich Spee in Peine

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Der Jesuit und Dichter Friedrich Spee von Langenfeld gilt heute zu Recht als Lichtgestalt, weil er in seiner Schrift „Cautio Criminalis“ 1631 die allgegenwärtige Folterpraxis der Hexenprozesse kritisierte. Das macht ihn allerdings nicht zu einem Vertreter der Toleranz im modernen Sinne. Wie jeder andere Jesuit fühlte er sich dafür verantwortlich, die auf den vermeintlich ketzerischen Pfad der Reformation abgeirrten Schäfchen in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuführen. Seine wundervollen Gedichte und Kirchenlieder, darunter „Zu Bethlehem geboren“ oder „O Heiland, reiß die Himmel auf“, die heute in beiden Konfessionen gesungen werden, waren subtile Glaubenspropaganda. Und in der praktischen gegenreformatorischen Arbeit beschränkte sich Spee keineswegs nur auf goldene Worte. Das kostete ihn beinahe das Leben.

1628 wurde der 37 Jahre alte Spee, der 18 Jahre zuvor dem Jesuitenorden beigetreten war, damit beauftragt, in der Grafschaft und Stadt Peine die Gegenreformation durchzuführen. Peine war 1549 evangelisch geworden. Erzbischof Ferdinand von Köln wollte dies nun rückgängig machen. Ermuntert fühlte er sich durch die militärischen Erfolge des katholisch-kaiserlichen Feldherren Tilly in der Frühzeit des seit 1618 andauernden Dreißigjährigen Krieges. Tilly hatte in Peine sogar eine Zeit lang sein Hauptquartier.

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Spee, der von einem Eckhaus am Peiner Ratshausplatz häufig zu Ausritten in die umgebenden Dörfer aufbrach, führte innerhalb kurzer Zeit 20 Gemeinden zum alten Glauben zurück. Er ging dabei mit jener „Schlangenklugheit“ vor, die er selber in der „Cautio Criminalis“ forderte. Wenn ihn die Bauern fragten, ob nun „tauffen und kopulieren“ teurer würde, antwortete er ihnen, dass er keinen Heller von den armen Leuten nehmen würde. Sogar die sechs Taler, die er aus der Kasse des Fürstbischofs erhielt, gab er als Almosen weg. Allerdings ging er, wie er selbst anmerkt, durchaus auch mit „heilsamer Einschüchterung“ vor. Ein brutaleres Verständnis von „heilsamer Einschüchterung“ hatte der Bischof. Er verordnete, dass dem Rat der Stadt nur Männer aus katholischen Familien angehören dürften. Schlimmer noch: Protestantische Bürger mussten innerhalb von drei Monaten die Stadt verlassen.

Die Wut über diese Zwangsmaßnahme traf Friedrich Spee. Am Sonntag Misericordiae, dem 29. April 1629, war er schon im Morgengrauen in Richtung des Dorfes Woltorf geritten, um dort die Messe zu lesen. Auf der menschenleeren Heide kam ihm plötzlich ein Reiter entgegen, der ihn beschimpfte und mit einer Büchse auf ihn zielte. Spee gab seinem Pferd die Sporen, der Schuss verfehlte ihn. Spees Pferd strauchelte, kam wieder auf die Beine, ein zweiter Schuss traf wieder nicht. Doch der Reiter holte Spee ein, schlug mit dem Kolben seiner Büchse auf ihn ein. Als der Priester das rettende Woltorf erreichte, klafften sechs Wunden an seinem Haupt, zwei an der Schulter. Nach der Wundbehandlung las er noch die Messe und forderte die Zuhörer auf: „Meine lieben Kinder, nun urteilt selber, ob ich ein guter Hirte oder Mietling bin, die Male des liebenden Hirten trage ich ja an Stirn und Schläfe.“

Der Attentäter entkam ins nahe protestantische Braunschweig. Spee wurde aufs Pferd gebunden und unter Begleitschutz nach Peine und dann in den Bischofssitz Hildesheim gebracht. Dort rang er elf Wochen mit dem Tod. Narben an Stirn und Hinterkopf blieben ihm ebenso erhalten wie Kopfschmerzen und Schwindel bis zu seinem Tode 1635. Wäre er 1629 gestorben, hätte er eine der wirkungsvollsten Anklagen gegen den Hexenwahn nie geschrieben. Die Stadt Peine wurde in den 1630er-Jahren wieder evangelisch. Die vertriebenen Bürger kehrten zurück.

Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.

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